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DAS URANTIA BUCH

Teil III. Die Geschichte Urantias


SCHRIFT 84 - EHE UND FAMILIENLEBEN

MATERIELLE Notwendigkeit begründete die Ehe, sexueller Hunger verschönerte sie, die Religion billigte und erhöhte sie, der Staat verlangte und regelte sie, während die sich in späterer Zeit entwickelnde Liebe beginnt, die Ehe als Ahnin und Schöpferin der nützlichsten und erhabensten Institution der Zivilisation, des Heims, zu rechtfertigen und zu verherrlichen. Und die Gründung eines Heims sollte Zentrum und Kern jeder erzieherischen Bemühung sein.

Die Paarung ist ein reiner Akt der Selbst-Fortpflanzung, der mit wechselnden Graden der Selbst-Beglückung verbunden ist; die Ehe, die Heimgründung, ist weitgehend eine Angelegenheit der Selbst-Erhaltung und schließt die Evolution der Gesellschaft ein. Die Gesellschaft selbst ist die aus den Familieneinheiten zusammengesetzte Struktur. Individuen sind als planetarische Faktoren sehr vorübergehender Natur – nur die Familien sind die dauernden Organe der gesellschaftlichen Evolution. Die Familie ist der Kanal, durch den der Strom der Kultur und des Wissens von einer Generation zur nächsten fließt.

Das Heim ist ganz grundlegend eine soziologische Institution. Die Ehe ging aus der Zusammenarbeit bei der Selbst-Erhaltung und aus der Partnerschaft zur Selbst-Fortpflanzung hervor, während das Element der Selbst-Beglückung weitgehend beiläufig war. Nichtsdestoweniger umfasst das Heim alle drei wesentlichen Funktionen der menschlichen Existenz, während die Weitergabe des Lebens aus ihm die grundlegende menschliche Institution macht und das Geschlechtsleben es von allen anderen gesellschaftlichen Aktivitäten abhebt.

1. PRIMITIVE PAARVERBINDUNGEN

Die Ehe wurde nicht auf den sexuellen Beziehungen aufgebaut; diese waren nebensächlich. Der primitive Mann brauchte die Ehe nicht; er ließ seinem sexuellen Hunger freien Lauf, ohne sich mit der Verantwortung für Frau, Kinder und Heim zu belasten.

Wegen ihrer physischen und gefühlsmäßigen Bindung an ihre Kinder ist die Frau auf die Zusammenarbeit mit dem Mann angewiesen, und das drängt sie, Schutz und Geborgenheit in der Ehe zu suchen. Aber kein unmittelbarer biologischer Impuls trieb den Mann dazu, eine Ehe einzugehen – und hielt ihn noch viel weniger darin fest. Nicht etwa Liebe machte die Ehe für den Mann verlockend, sondern der Hunger war es, der den wilden Mann am Anfang zur Frau und unter das primitive Schutzdach zog, das sie mit ihren Kindern teilte.

Die Ehe entstand nicht einmal aus der Bewusstwerdung der Verpflichtungen, die sich aus dem Geschlechtsverkehr ergaben. Der primitive Mensch begriff nicht, dass zwischen der Triebbefriedigung und der späteren Geburt eines Kindes eine Verbindung bestand. Es wurde einst allgemein geglaubt, dass eine Jungfrau schwanger werden konnte. Schon früh kam der Wilde auf die Idee, dass die Säuglinge im Geisterland erschaffen wurden; man glaubte, dass Schwangerschaft durch einen in die Frau gefahrenen Geist, einen sich entwickelnden Geist, verursacht werde. Auch eine bestimmte Ernährung und den bösen Blick hielt man für fähig, in einer Jungfrau oder unverheirateten Frau eine Schwangerschaft auszulösen, während spätere Vorstellungen den Beginn des Lebens mit dem Atem und dem Sonnenlicht in Verbindung brachten.

Viele frühe Völker verbanden die Geister mit dem Meer; deshalb waren Jungfrauen in ihren Badegewohnheiten stark eingeschränkt; junge Frauen hatten viel größere Angst vor einem Bad im Meer bei Flut als vor sexuellen Beziehungen. Miss- oder Frühgeburten galten als Junge von Tieren, die infolge unachtsamen Badens oder durch böswillige Geisteraktivität ihren Weg in einen Frauenkörper gefunden hatten. Natürlich erwürgten die Wilden diese Kleinen bei ihrer Geburt bedenkenlos.

Der erste aufklärende Schritt kam mit dem Glauben, dass Geschlechtsverkehr dem schwängernden Geist den Weg freimache, um in die Frau einzudringen. Der Mensch hat seither herausgefunden, dass Vater und Mutter die lebendigen Erbfaktoren, die das neue Wesen bilden, zu gleichen Teilen beisteuern. Aber selbst noch im zwanzigsten Jahrhundert versuchen viele Eltern, ihre Kinder über den Ursprung des menschlichen Lebens mehr oder weniger in Unwissenheit zu halten.

Eine Familie einfacher Art wurde durch die Tatsache sichergestellt, dass die Fortpflanzungsfunktion die Mutter-Kind-Beziehung mit sich bringt. Mutterliebe ist instinktiv; sie hat ihren Ursprung nicht in den Sitten wie die Ehe. Die Mutterliebe aller Säuger ist eine angeborene Begabung durch die Mentalen Hilfsgeiste des Lokaluniversums, und ihre Stärke und Aufopferung stehen immer in direktem Verhältnis zur Länge der hilflosen Kindheit der Spezies.

Die Mutter-Kind-Beziehung ist natürlich, stark und instinktiv und deshalb von einer Art, welche die primitiven Frauen zwang, sich vielen seltsamen Bedingungen zu unterwerfen und unsägliche Not zu erdulden. Diese zwingende Mutterliebe ist das behindernde Gefühl, das die Frau in all ihren Auseinandersetzungen mit dem Mann stets so ungeheuer benachteiligt hat. Aber auch so ist der mütterliche Instinkt in der menschlichen Gattung nicht übermächtig; Ehrgeiz, Eigensucht und religiöse Überzeugung können ihn zum Verstummen bringen.

Zwar ist die Mutter-Kind-Gemeinschaft weder die Ehe noch das Heim, aber sie war der Kern, dem beide entsprungen sind. Der große Fortschritt in der Evolution der Paarung kam, als die vorübergehenden Partnerschaften lange genug bestanden, um den aus ihnen hervorgehenden Nachwuchs aufzuziehen, denn das war die Heimgründung.

Ungeachtet aller Zwietracht dieser frühen Paare und trotz der Lockerheit ihrer Verbindung erhöhten sich durch diese Mann-Frau-Partnerschaften die Überlebenschancen ungemein. Ein Mann und eine Frau, die zusammenarbeiten – auch außerhalb von Familie und Nachwuchs – sind zwei Männern oder zwei Frauen fast in jeder Hinsicht weit überlegen. Dieses paarweise Zusammengehen der Geschlechter erhöhte die Überlebensrate und war der eigentliche Beginn der menschlichen Gesellschaft. Auch die Arbeitsteilung nach Geschlechtern sorgte für Wohlbefinden und mehr Glück.

2. DIE FRÜHE MUTTER-FAMILIE

Die periodische Blutung der Frau und ihr Blutverlust beim Gebären legten bald die Vorstellung nahe, dass das Blut der Schöpfer des Kindes (und sogar der Sitz der Seele) sei, und ließen die Idee der Blutsbande in den menschlichen Beziehungen entstehen. In frühen Zeiten dachte man alle Abstammung über die weibliche Linie, denn das war der einzige wirklich sichere Teil des Erbes.

Die primitive Familie, die aus den instinktiven biologischen Banden des Blutes zwischen Mutter und Kind hervorging, war zwangsläufig eine Mutterfamilie; und viele Stämme hielten lange an ihr fest. Die Mutterfamilie war der einzig mögliche Übergang vom Stadium der Gruppenehe in der Horde zum späteren verbesserten Familienleben der polygamen und monogamen Vaterfamilien. Die Mutterfamilie war natürlich und biologisch; die Vaterfamilie ist sozial, wirtschaftlich und politisch. Das Fortbestehen der Mutterfamilie bei den roten Menschen Nordamerikas ist einer der Hauptgründe, weshalb die ansonsten fortschrittlichen Iroquois nie ein richtiger Staat wurden.

Unter den herrschenden Sitten der Mutterfamilie verfügte die Mutter der Ehefrau im Heim praktisch über höchste Autorität; sogar die Brüder der Ehefrau und deren Söhne waren bei der Leitung der Familie aktiver als der Ehemann. Oft wurden Väter nach ihren eigenen Kindern umbenannt.

Die frühesten Rassen achteten den Vater gering; in ihren Augen stammte das Kind ganz und gar von der Mutter ab. Sie glaubten, dass die Kinder ihrem Vater infolge des Zusammenlebens glichen oder in dieser Weise „gezeichnet“ waren, weil die Mutter wünschte, dass sie dem Vater ähnlich sähen. Als später der Umschwung von der Mutter- zur Vaterfamilie kam, nahm der Vater alles Verdienst am Kind an sich, und viele der Tabus, die eine schwangere Frau betrafen, wurden erweitert und schlossen nun auch den Ehemann ein. Der werdende Vater legte seine Arbeit nieder, wenn die Zeit der Entbindung nahte, und bei der Geburt legte er sich zu der Frau ins Bett und ruhte sich drei bis acht Tage lang aus. Die Frau mochte am nächsten Tag wieder aufstehen und hart arbeiten, wo hingegen der Gatte im Bett blieb, um die Glückwünsche entgegenzunehmen; all das war Teil der frühen Sitten, die das Recht des Vaters über das Kind bekräftigen sollten.

Am Anfang wollte die Sitte, dass der Mann zu der Familie der Frau zog, aber in späterer Zeit konnte er, nachdem er den Brautpreis entrichtet oder durch Arbeit abbezahlt hatte, Frau und Kinder zu seinen eigenen Leuten zurückbringen. Der Übergang von der Mutter- zur Vaterfamilie erklärt die sonst sinnlosen Verbote bestimmter Heiraten unter Cousins, während andere trotz desselben Verwandtschaftsgrades erlaubt sind.

Als die Jägersitten verschwanden und die Herdenhaltung dem Menschen die Kontrolle über die Beschaffung der wesentlichen Lebensmittel gab, kam die Mutterfamilie zu einem raschen Ende. Sie scheiterte einfach daran, dass sie mit der neueren Vaterfamilie nicht gleichziehen konnte. Die auf die männlichen Verwandten der Mutter verteilte Macht konnte den Wettbewerb mit der im Ehemann-Vater konzentrierten Macht nicht bestehen. Die Frau war den vereinigten Aufgaben des  Gebärens und der Ausübung kontinuierlicher Autorität und zunehmender häuslicher Macht nicht mehr gewachsen. Aufkommender Frauenraub und späterer Frauenkauf beschleunigten das Verschwinden der Mutterfamilie.

Der verblüffende Wechsel von der Mutter- zu der Vaterfamilie ist eine der radikalsten und vollständigsten Kehrtwendungen der Anpassung, welche die menschliche Rasse je vorgenommen hat. Dieser Wechsel führte sofort zu größerem sozialem Ausdruck und gesteigertem Familien-abenteuer.

3. DIE FAMILIE UNTER DER HERRSCHAFT DES VATERS

Es mag sein, dass der Instinkt der Mutterschaft die Frau in die Ehe führte, aber es war die überlegene Stärke des Mannes zusammen mit dem Einfluss der Sitten, die sie praktisch zwangen, im Ehestand zu verharren. Das Hirtenleben begünstigte die Schaffung eines neuen Sittensystems, den patriarchalischen Typus des Familienlebens; und die Grundlage der Einheit der Familie unter den herrschenden Sitten der Hirten- und frühen Ackerbauzeit war die unbestrittene und willkürliche Autorität des Vaters. Die ganze Gesellschaft, ob auf nationaler oder Familienebene, durchschritt das Stadium der autokratischen Autorität patriarchalischer Natur. 

Die geringe Liebenswürdigkeit, mit der man der Weiblichkeit in der Ära des Alten Testamentes begegnete, ist ein wahrer Spiegel der bei den Hirten herrschenden Sitten. Die hebräischen Patriarchen waren alles Hirten, wie der Ausspruch bezeugt: „Der Herr ist mein Hirte.“

Aber der Mann ist für seine Geringschätzung der Frau in vergangenen Zeitaltern nicht mehr zu tadeln als die Frau selber. Es gelang ihr während der primitiven Zeiten nicht, gesellschaftliche Anerkennung zu finden, weil sie in Notfällen nicht in Aktion trat; sie war keine spektakuläre oder Krisenheldin. Die Mutterschaft war eine ganz entschiedene Benachteiligung im Existenzkampf; Mutterliebe hinderte die Frauen an der Verteidigung des Stammes.

Die primitiven Frauen verursachten auch ganz unabsichtlich ihre Abhängigkeit von den Männern durch ihren bewundernden Applaus für deren Kampfeslust und Männlichkeit. Diese Verherrlichung des Kriegers steigerte das männliche Ego, während sie gleichzeitig das der Frau unterdrückte und sie abhängiger machte; noch immer erregt eine Militäruniform die weiblichen Gefühle heftig.

Bei den fortgeschritteneren Rassen sind die Frauen nicht so groß und stark wie die Männer. Deshalb wurde die Frau als die Schwächere taktvoller; früh lernte sie, die Reize ihres Geschlechts einzusetzen.Sie wurde wachsamer und konservativer als der Mann, wenn auch um ein Geringes weniger tief. Der Mann übertraf die Frau auf dem Schlachtfeld und auf der Jagd; aber zu Hause hat die Frau gewöhnlich auch den allerprimitivsten Mann ausmanövriert.

Der Hirte zählte auf seine Herden als Nahrungsquelle, aber während dieses ganzen Hirtenzeitalters hatte die Frau noch immer für die pflanzliche Nahrung zu sorgen. Der primitive Mann wich der Bodenarbeit aus, da sie allzu friedlich und zu wenig abenteuerlich war. Es gab auch einen alten Aberglauben, dass die Pflanzen unter den Händen der Frauen besser gediehen; sie waren eben Mütter. Noch heute kochen bei vielen zurückgebliebenen Stämmen die Männer das Fleisch und die Frauen das Gemüse, und wenn die primitiven Stämme Australiens unterwegs sind, greifen die Frauen nie das Wild an, während ein Mann sich niemals soweit erniedrigen würde, eine Wurzel auszugraben.

Die Frau musste immer arbeiten; wenigstens bis in die Neuzeit ist die Frau eine richtige Erzeugerin gewesen. Der Mann hat gewöhnlich den leichteren Weg beschritten, und diese Ungleichheit hat in der ganzen Geschichte der menschlichen Rasse bestanden. Die Frau war immer die Lastenträgerin, die den Familienbesitz unterhielt und sich um die Kinder kümmerte und damit dem Mann freie Hand für Kampf und Jagd ließ.

Die erste Befreiung der Frau kam, als der Mann einwilligte, den Boden zu bearbeiten, gewillt war zu tun, was bis anhin als Frauenarbeit gegolten hatte. Ein großer Schritt vorwärts wurde getan, als man die männlichen Gefangenen nicht mehr umbrachte, sondern als Landarbeiter versklavte. Das befreite die Frau, die nun den häuslichen Arbeiten und der Kindererziehung mehr Zeit widmen konnte.

Die Verfügbarkeit von Milch für die Kleinen führte zu einer früheren Entwöhnung der Säuglinge; das wiederum hatte zur Folge, dass die Mütter, die nun von manchmal zeitweiliger Unfruchtbarkeit befreit waren, mehr Kinder gebaren, während die Verwendung von Kuh- und Ziegenmilch die Kindersterblichkeit stark senkte. Vor dem Hirtenstadium der Gesellschaft pflegten die Mütter ihre Kleinen zu stillen, bis sie vier oder fünf Jahre alt waren.

Mit abnehmender primitiver Kriegstätigkeit verminderte sich die Ungleichheit in der geschlechtsbedingten Arbeitsteilung wesentlich. Aber immer noch fiel den Frauen die eigentliche Arbeit zu, während die Männer Wache standen. Kein Lager oder Dorf konnte bei Tag oder Nacht unbewacht gelassen werden, aber auch diese Aufgabe wurde durch die Domestizierung des Hundes erleichtert. Im Allgemeinen stiegen mit dem Aufkommen der Landwirtschaft Ansehen und sozialer Rang der Frau; wenigstens war dem so bis zu der Zeit, da der Mann selber Ackerbauer wurde. Und sobald der Mann sich der Bodenbestellung zuwandte, erfolgte eine augenblickliche Verbesserung der landwirtschaftlichen Methoden, die sich in den folgenden Generationen fortsetzte. Auf der Jagd und im Krieg hatte der Mann den Wert der Organisation kennen gelernt; er führte nun diese Techniken im Gewerbe ein und verbesserte später, als er einen großen Teil der Frauenarbeit übernahm, deren lockere Arbeitsmethoden beträchtlich.

4. DIE STELLUNG DER FRAU IN DER FRÜHEN GESELLSCHAFT

Im Allgemeinen ist die Stellung der Frau in irgendeinem Zeitalter ein recht gutes Kriterium für den evolutionären Fortschritt der Ehe als sozialer Institution, während der Fortschritt der Ehe selbst ein ziemlich genauer Gradmesser für die Höherentwicklung der menschlichen Zivilisation ist. 

Die Stellung der Frau ist immer ein gesellschaftliches Paradox gewesen; sie hat es immer verstanden, die Männer auf kluge Art zu lenken; sie hat immer aus den dringenderen sexuellen Bedürfnissen des Mannes für ihre eigenen Interessen und ihr eigenes Vorwärtskommen Kapital geschlagen. Durch subtilen Einsatz ihrer erotischen Reize war sie oft imstande, einen Mann ganz zu beherrschen, auch wenn sie von ihm in niedrigster Sklaverei gehalten wurde.

Die frühe Frau war für den Mann keine Freundin, Liebste, Geliebte oder Partnerin, sondern vielmehr ein Stück Besitz, Dienerin oder Sklavin und später wirtschaftliche Partnerin, Spielzeug und Kindergebärerin. Trotzdem konnten angemessene und befriedigende geschlechtliche Beziehungen nicht ohne das Element der Wahl und Kooperation seitens der Frau auskommen, und das hat intelligenten Frauen allezeit eine beträchtliche Einflussnahme auf ihre unmittelbare persönliche Stellung verschafft, ungeachtet der gesellschaftlichen Stellung ihres Geschlechts. Aber Misstrauen und Argwohn der Männer erhielten immer neue Nahrung durch die Tatsache, dass die Frauen stets gezwungen waren, sich ihres Scharfsinns zu bedienen, um ihr Sklavendasein zu erleichtern.

Die Geschlechter hatten große Schwierigkeiten, einander zu verstehen. Es fiel dem Mann sehr schwer, die Frau zu begreifen, und er betrachtete sie mit einer seltsamen Mischung aus unwissendem Misstrauen und furchtsamer Faszination, wenn nicht gar mit Argwohn und Verachtung. Viele Rassen- und Stammesüberlieferungen schreiben Eva, Pandora und anderen Vertreterinnen der Weiblichkeit Unheil zu. Diese Erzählungen wurden immer so verdreht, dass es danach aussah, als habe die Frau Unglück über den Mann gebracht; all das lässt das einst allgemein herrschende Misstrauen gegenüber der Frau erkennen. Unter den zur Verteidigung eines unverheirateten Priesterdaseins angeführten Gründen war der hauptsächlichste die Niederträchtigkeit der Frau. Die Tatsache, dass die meisten der angeblichen Hexen Frauen waren, verbesserte den alten Ruf des Geschlechts nicht. 

Die Männer haben die Frauen lange als seltsam, ja sogar als abnorm betrachtet. Sie haben sogar geglaubt, die Frauen hätten keine Seele; deshalb verwehrte man ihnen Namen. In früher Zeit herrschte große Furcht vor dem ersten Geschlechtsverkehr mit einer Frau; daher kam der Brauch auf, dass dem Priester der erste Verkehr mit einer Jungfrau zukam. Selbst den Schatten einer Frau empfand man als gefährlich.

Das Gebären wurde einst ganz allgemein als etwas angesehen, das eine Frau gefährlich und unrein machte. Und viele Stammessitten schrieben vor, dass die Mutter nach der Geburt eines Kindes ausgiebige Reinigungszeremonien über sich ergehen lassen musste. Außer bei jenen Gruppen, wo der Ehemann am Wochenbett teilnahm, wurde die werdende Mutter gemieden, alleine gelassen. Die Alten vermieden es sogar, ein Kind im Hause zur Welt kommen zu lassen. Schließlich gestattete man es den alten Frauen, der Mutter während der Wehen beizustehen, und aus dieser Praxis ging der Ammenberuf hervor. Während des Gebärens wurden eine Menge ausgefallener Dinge gesagt und getan, um die Entbindung zu erleichtern. Man pflegte das Neugeborene mit heiligem Wasser zu besprengen, um das Eingreifen von Geistern zu verhindern.

Bei den nicht gemischten Stämmen verliefen die Geburten relativ glatt und dauerten nur zwei oder drei Stunden; aber bei den Mischrassen geht es selten so leicht vonstatten. Wenn eine Frau bei der Geburt starb, und insbesondere bei der Entbindung von Zwillingen, glaubte man, sie habe sich des Ehebruchs mit einem Geist schuldig gemacht. Später betrachteten die höheren Stämme den Tod bei der Geburt als den Willen des Himmels, und von solchen Müttern dachte man, sie seien für eine edle Sache gestorben.

Die so genannte Bescheidenheit der Frauen, was ihre Kleidung und die Entblößung ihrer Person anbelangt, kommt von der tödlichen Angst, zur Zeit der monatlichen Regel beobachtet zu werden. In diesem Zustand erblickt zu werden, war eine schwere Sünde, die Verletzung eines Tabus. Unter den in alten Zeiten geltenden Sitten war jede Frau von der Adoleszenz bis zur Menopause jeden Monat eine ganze Woche lang einer vollständigen familiären und gesellschaftlichen Quarantäne unterworfen. Was sie auch immer berühren, worauf sie sich setzen oder legen mochte, war „beschmutzt“. Lange Zeit war es Sitte, die Mädchen nach jeder monatlichen Regel im Bestreben, den bösen Geist aus ihrem Körper zu jagen, brutal zu schlagen. Aber wenn eine Frau die Zeit des Kinderkriegens hinter sich gebracht hatte, wurde sie gewöhnlich mit mehr Respekt behandelt, und man gewährte ihr mehr Rechte und Privilegien. Wenn man sich all das vor Augen hält, verwundert es nicht, dass auf die Frauen herabgeschaut wurde. Sogar die Griechen hielten die menstruierende Frau für eine der drei großen Ursachen der Beschmutzung, wobei die anderen beiden Schweinefleisch und Knoblauch waren. 

Wie ausgefallen diese alten Vorstellungen auch immer waren, so bewirkten sie doch dadurch einiges Gute, dass sie den überarbeiteten Frauen, wenigstens solange sie jung waren, jeden Monat eine Woche willkommener Ruhe und nützlichen Nachdenkens verschafften. Es erlaubte ihnen, ihren Scharfsinn zu entwickeln, um mit ihren männlichen Gefährten in der restlichen Zeit zurechtzukommen. Diese Quarantäne der Frauen hielt die Männer auch von übertriebener sexueller Tätigkeit ab, was indirekt zur Bevölkerungsbeschränkung und zu vermehrter Selbstbeherrschung beitrug.

Ein großer Schritt vorwärts wurde getan, als dem Mann das Recht abgesprochen wurde, seine Frau nach Belieben umzubringen. Ebenfalls ein Fortschritt war es, als die Hochzeitsgeschenke Eigentum der Frau wurden. Später gewann sie das gesetzliche Recht, Eigentum zu besitzen, zu verwalten und sogar darüber zu verfügen, aber sie entbehrte lange des Rechts, in Kirche oder Staat ein Amt auszuüben. Die Frau wurde immer mehr oder weniger als Eigentum behandelt, und das bis ins zwanzigste Jahrhundert nach Christus. Sie hat sich noch nicht weltweit von ihrer Absonderung unter der Bevormundung des Mannes befreit. Auch unter den fortgeschrittenen Völkern ist das Bestreben des Mannes, die Frau zu beschützen, immer eine unausgesprochene Bekräftigung seiner Überlegenheit gewesen.

Aber die primitiven Frauen bemitleideten sich selber nicht, wie ihre kürzlich befreiten Schwestern es zu tun pflegen. Sie waren alles in allem recht glücklich und zufrieden; sie wagten nicht, sich eine bessere oder andere Existenzweise vorzustellen.

5. DIE FRAU UNTER DEN SICH ENTWICKELNDEN SITTEN

In der Selbst-Fortpflanzung ist die Frau dem Mann gleichgestellt, aber in der Partnerschaft zur Selbst-Erhaltung arbeitet sie mit einem entschiedenen Nachteil, und diese Behinderung durch die ihr aufgezwungene Mutterschaft kann nur wettgemacht werden durch die aufgeklärten Sitten der fortschreitenden Zivilisation und durch das wachsende Gefühl für Fairness vonseiten des Mannes.

Als die Gesellschaft sich entwickelte, erreichten die sexuellen Maßstäbe der Frauen ein höheres Niveau, weil sie stärker unter den Folgen einer Übertretung der sexuellen Sitten zu leiden hatten. Die sexuellen Maßstäbe des Mannes verbessern sich erst spät einfach aufgrund des Gefühls für Fairness, das die Zivilisation verlangt. Die Natur kennt keine Fairness – sie lässt die Frau die Geburtsschmerzen ganz allein ausstehen.

Die moderne Idee von der Gleichheit der Geschlechter ist sehr schön und steht einer wachsenden Zivilisation wohl an, aber sie findet sich in der Natur nicht. Wenn Gewalt Recht spricht, herrscht der Mann über die Frau; wenn mehr Gerechtigkeit, Frieden und Fairness walten, kommt sie allmählich aus Sklaverei und Dunkel heraus. Der soziale Rang der Frau in jeder Nation und zu jeder Zeit hat im Allgemeinen in umgekehrtem Verhältnis zum Grad an Militarismus gestanden.

Aber der Mann bemächtigte sich nicht bewusst oder absichtlich der Rechte der Frau und gab sie ihr dann schrittweise und widerwillig wieder zurück; all das war eine unbewusste und nicht geplante Episode der gesellschaftlichen Evolution. Als die Zeit für die Frau wirklich gekommen war, sich zusätzlicher Rechte zu erfreuen, erhielt sie diese, und zwar völlig unabhängig von der bewussten Haltung des Mannes. Langsam aber sicher ändern sich die Sitten, so dass sie jene gesellschaftlichen Anpassungen erlauben, die Teil der ständigen Evolution der Zivilisation sind. Die sich weiterentwickelnden Sitten brachten langsam eine immer bessere Behandlung der Frauen mit sich; jene Stämme, die sich ihnen gegenüber weiterhin grausam verhielten, überlebten nicht.

Die Adamiten und die Noditen gestanden den Frauen wachsende Anerkennung zu, und die Gruppen, die mit den wandernden Anditen in Berührung kamen, neigten dazu, sich von den edenischen Lehren über die Stellung der Frau in der Gesellschaft beeinflussen zu lassen.

Die frühen Chinesen und die Griechen behandelten die Frauen besser als die meisten der sie umgebenden Völker. Aber die Hebräer misstrauten ihnen außerordentlich. Im Abendland hatten die Frauen unter der Herrschaft der paulinischen Lehren, die mit dem Christentum verknüpft worden waren, einen schwierigen Aufstieg, obwohl das Christentum die Sitten tatsächlich dadurch voranbrachte, dass es den Männern strengere sexuelle Verpflichtungen auferlegte. Ihre Lage ist nahezu hoffnungslos angesichts ihrer Erniedrigung, die für den Mohammedanismus bezeichnend ist, und es ergeht ihnen noch schlimmer unter den Lehren mehrerer anderer orientalischer Religionen.

 Es war die Wissenschaft und nicht die Religion, die die Frauen wirklich emanzipierte, und es war die moderne Fabrik, die sie weitgehend aus ihrer Beschränkung auf das Heim befreite. Die physischen Fähigkeiten des Mannes büßten im neuen Mechanismus des Lebensunterhalts ihre entscheidende Bedeutung ein, und die Wissenschaft veränderte die Lebensbedingungen derart, dass die Kraft des Mannes der Kraft der Frau nicht mehr so sehr überlegen war.

Diese Veränderungen haben alle dahingewirkt, die Frau von der häuslichen Sklaverei zu befreien, und sie haben einen derartigen Wandel ihrer Stellung verursacht, dass sie sich jetzt eines Grades persönlicher Freiheit und sexuellen Über-Sich-Verfügens erfreut, der dem des Mannes praktisch gleichkommt. Einst wurde der Wert einer Frau an ihrer Fähigkeit, Nahrung zu produzieren, gemessen, aber Erfindung und Reichtum haben sie in den Stand versetzt, eine neue Welt ihres Wirkens zu erschaffen – Sphären der Anmut und des Reizes. So hat die Industrie ihren unbewussten und unbeabsichtigten Kampf für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Emanzipation der Frau gewonnen. Und einmal mehr hat Evolution erfolgreich geschafft, was sogar der Offenbarung zu vollbringen versagt war.

Die Reaktion der aufgeklärten Völker auf die Ungerechtigkeit der Sitten, die den Platz der Frau in der Gesellschaft regieren, schlug wie eine Pendelbewegung ins andere Extrem aus. Unter den industrialisierten Rassen hat die Frau nahezu alle Rechte erhalten und ist von vielen Verpflichtungen wie z. B. dem Militärdienst ausgenommen worden. Jede Erleichterung des Existenzkampfes hat zu ihrer Befreiung beigetragen, und jeder Fortschritt in Richtung Monogamie hat ihr unmittelbar zum Vorteil gereicht. In der fortschreitenden Evolution der Gesellschaft macht bei jeder Neuanpassung der Sitten der Schwächere unverhältnismäßige Gewinne.

In den Idealen der Ehe zu zweit hat die Frau schließlich Anerkennung, Würde, Unabhängigkeit, Gleichheit und Ausbildung gefunden; aber wird sie sich all dieser neuen und noch nie dagewesenen Errungenschaften auch würdig erzeigen? Wird die moderne Frau diese großartige Verwirklichung gesellschaftlicher Befreiung mit Trägheit, Indifferenz, Unfruchtbarkeit und Untreue beantworten? Heute, im zwanzigsten Jahrhundert, erlebt die Frau die Feuerprobe ihrer langen irdischen Existenz!

Die Frau ist die ebenbürtige Partnerin des Mannes bei der Fortpflanzung der Rasse, also genau so wichtig bei der Entfaltung der rassischen Evolution; deshalb hat die Evolution immer vermehrt auf die Verwirklichung der Rechte der Frauen hingearbeitet. Aber die Rechte der Frauen sind keinesfalls die Rechte der Männer. Eine Frau, die die Rechte des Mannes beansprucht, kann nicht gedeihen, ebenso wenig wie ein Mann sich entfalten kann, der die Rechte der Frau beansprucht.

Jedes Geschlecht hat seine eigene unterschiedliche Daseinssphäre und seine eigenen Rechte innerhalb dieser Sphäre. Wenn es die Frau danach verlangt, sich buchstäblich aller Rechte des Mannes zu erfreuen, dann wird mit Sicherheit früher oder später erbarmungsloser und gefühlloser Wettbewerb an die Stelle jener Ritterlichkeit und besonderen Hochachtung treten, die viele Frauen jetzt genießen und die sie von den Männern erst so kürzlich erlangt haben.

Nie wird die Zivilisation die zwischen den Geschlechtern bestehende Kluft im Verhalten zum Verschwinden bringen können. Die Sitten ändern sich von Zeitalter zu Zeitalter, nie aber der Instinkt. Ihre angeborene Mutterliebe wird einer emanzipierten Frau nie erlauben, in der Industrie zu einer ernsthaften Rivalin des Mannes zu werden. Für immer wird jedes Geschlecht unbedingter Meister in seiner eigenen Domäne bleiben, die durch biologische Differenzierung und mentale Andersartigkeit bestimmt wird.

Jedes Geschlecht wird stets seine eigene besondere Sphäre haben, obwohl hin und wieder das eine auf das andere übergreifen wird. Nur im gesellschaftlichen Bereich werden Männer und Frauen in ebenbürtigen Wettbewerb treten.

6. DIE PARTNERSCHAFT VON MANN UND FRAU

Der Geschlechtstrieb führt Männer und Frauen unfehlbar zur Fortpflanzung zusammen, aber allein vermag er ihr Zusammenbleiben in wechselseitiger Kooperation – die Gründung eines Heims – nicht zu gewährleisten.

In jeder erfolgreichen menschlichen Institution gibt es auf persönlichen Interessen beruhende Antagonismen, die durch Einstimmung zu einer praktisch arbeitenden Harmonie gelangt sind, und die Schaffung eines Heims macht darin keine Ausnahme. Die Ehe, die Grundlage der Heimbildung, ist der höchste Ausdruck dieser antagonistischen Kooperation, die so oft die Kontakte zwischen Natur und Gesellschaft charakterisiert. Der Konflikt ist unvermeidlich. Der Drang zur Paarung ist angeboren, er ist naturgegeben. Aber die Ehe ist nicht biologisch, sie ist soziologisch. Die Leidenschaft stellt sicher, dass Mann und Frau zusammenkommen, aber der schwächere elterliche Instinkt und die gesellschaftlichen Sitten sorgen für ihr Zusammenbleiben.

Praktisch betrachtet, sind Mann und Frau zwei verschiedene Spielarten derselben Gattung, die in enger und inniger Gemeinschaft leben. Ihre Gesichtspunkte und gesamten Lebensreaktionen sind grundverschieden; sie sind ganz und gar unfähig, einander in vollem Umfang und wirklich zu verstehen. Vollkommenes gegenseitiges Verstehen der Geschlechter kann nicht erreicht werden.

Die Frauen scheinen mehr Intuition als die Männer zu besitzen, aber auch ein bisschen weniger logisch zu sein. Indessen ist die Frau immer die sittliche Bannerträgerin und geistige Führerin der Menschheit gewesen. Immer noch fraternisiert die Hand, die die Wiege schaukelt, mit der Bestimmung.

Die zwischen Mann und Frau in Wesen, Reaktion, Standpunkt und Denken bestehenden Unterschiede, weit davon entfernt, zu Beunruhigung Anlass zu geben, sollten als für die Menschheit in hohem Maße segensreich angesehen werden, sowohl individuell als auch kollektiv. Viele Ordnungen von Universumsgeschöpfen werden in zwei Phasen der Persönlichkeitsmanifestation erschaffen. Bei den Sterblichen, den Materiellen Söhnen und den Midsonitern nennt man diese Verschiedenheit männlich und weiblich; bei den Seraphim, Cherubim und Morontiellen Gefährten hat man sie als positiv oder dynamisch und negativ oder zurückhaltend bezeichnet. Solche Zweierbünde verstärken die Vielseitigkeit gewaltig und überwinden angeborene Beschränkungen, was auch für gewisse Dreierverbindungen im Paradies-Havona-System gilt.

Männer und Frauen benötigen einander in ihrer morontiellen und geistigen ebenso wie in ihrer irdischen Laufbahn.  Die verschiedene Sicht von Mann und Frau besteht über das erste Leben hinaus weiter und setzt sich während des Aufstiegs durch Lokal- und Superuniversum fort. Und selbst in Havona werden die Pilger, die einst Männer und Frauen gewesen waren, einander beim Aufstieg zum Paradies weiter behilflich sein. Niemals, auch im Korps der Finalität nicht, wird sich das Geschöpf derart verwandeln, dass die Persönlichkeitstendenzen, die die Menschen männlich und weiblich nennen, ausgelöscht werden. Immer werden die beiden grundlegenden Spielarten der Menschheit fortfahren, einander Rätsel aufzugeben, zu stimulieren, zu ermutigen und beizustehen. Immer werden sie in wechselseitiger Abhängigkeit bei der Lösung verzwickter Universumsprobleme und beim Überwinden mannigfaltiger kosmischer Schwierigkeiten zusammenarbeiten.

Obgleich die Geschlechter nie hoffen können, einander völlig zu verstehen, sind sie tatsächlich komplementär, und obwohl ihre Zusammenarbeit oft mit mehr oder weniger persönlicher Gegnerschaft einhergeht, ist sie doch fähig, die Gesellschaft zu erhalten und fortzupflanzen. Die Institution der Ehe ist dazu bestimmt, die Geschlechtsunterschiede zu besänftigen und derweil für den Fortbestand der Zivilisation zu sorgen und die Fortpflanzung der Rasse zu gewährleisten.

Die Ehe ist die Mutter aller menschlichen Institutionen, denn sie führt geradewegs zur Gründung und Aufrechterhaltung des Heims, das die strukturelle Grundlage der Gesellschaft ist. Die Familie ist in lebenswichtiger Weise mit dem Mechanismus der Selbst-Erhaltung verbunden. Die Ehe ist die einzige Hoffnung des Fortbestehens der Rasse unter der Herrschaft der Sitten der Zivilisation, während sie zugleich erfolgreich gewisse höchst befriedigende Formen der Selbst-Beglückung verschafft. Die Familie ist die größte rein menschliche Errungenschaft, schafft sie es doch, die Evolution der biologischen Beziehung zwischen Mann und Frau mit den sozialen Beziehungen von Ehemann und Ehefrau zu verbinden.

7. DIE IDEALE DES FAMILIENLEBENS

Geschlechtsverkehr ist instinktiv, Kinder sind sein natürliches Ergebnis, und so entsteht automatisch die Familie. So wie die Familien einer Rasse oder Nation sind, so ist auch deren Gesellschaft. Sind die Familien gut, dann ist die Gesellschaft ebenfalls gut. Die große kulturelle Stabilität des jüdischen und chinesischen Volkes beruht auf dem festen Zusammenhalt ihrer Familiengruppen.

Der Instinkt der Frau, der sie die Kinder lieben und umsorgen lässt, wirkte dahingehend, aus ihr den an der Förderung der Ehe und des primitiven Familienlebens interessierten Partner zu machen. Der Mann wurde erst unter dem Druck der späteren Sitten und gesellschaftlichen Konventionen zur Gründung des Heims gezwungen. Es dauerte lange, ehe er sich für Heirat und Heimgründung zu erwärmen begann, weil der Geschlechtsakt für ihn keine biologischen Folgen hat.

Die sexuelle Vereinigung ist natürlich, aber die Ehe ist gesellschaftlicher Art und immer durch die Sitten geregelt worden. Die geltenden (religiösen, moralischen und ethischen) Sitten im Verein mit Besitz, Stolz und Ritterlichkeit stabilisieren die Institutionen der Ehe und Familie. Wann immer die Sitten in Bewegung geraten, wird davon auch die Stabilität der Heim-Ehe-Institution ergriffen. Die Ehe ist jetzt dabei, aus dem Eigentumsstadium in die persönliche Ära einzutreten. Früher beschützte der Mann die Frau, weil sie seine Leibeigene war, und sie gehorchte aus demselben Grunde. Ungeachtet seiner Verdienste, sorgte dieses Systems für Stabilität. Heute wird die Frau nicht mehr als Eigentum betrachtet, und neue Sitten sind im Kommen, dazu angetan, die Ehe-Heim-Institution zu stabilisieren:

       1. Die neue Rolle der Religion – die Lehre, dass elterliche Erfahrung ganz wesentlich ist, die Idee, kosmische Bürger zu zeugen, das erweiterte Verständnis vom Privileg der Fortpflanzung – dem Vater Söhne zu schenken.

       2. Die neue Rolle der Wissenschaft – die Fortpflanzung geschieht immer mehr aus freiem Entschluss, wird der Kontrolle des Menschen unterworfen. In alten Zeiten sicherte Unwissenheit die Geburt von Kindern, auch wenn kein Wunsch nach ihnen vorhanden war.

       3. Die neue Funktion der Verlockung durch das Vergnügen – was einen neuen Faktor in das Überleben der Rasse einführt; die früheren Menschen pflegten unerwünschte Kinder auszusetzen; die modernen weigern sich, sie zur Welt zu bringen.

       4. Die Hebung des elterlichen Instinktes. Jede Generation tendiert jetzt dazu, aus dem sich fortpflanzenden Strom der Rasse jene Einzelwesen zu eliminieren, in denen der elterliche Instinkt ungenügend entwickelt ist, um die Zeugung von Kindern – potentiellen Eltern der nächsten Generation – zu sichern.

Aber das Heim als eine Institution, als eine Partnerschaft zwischen einem einzigen Mann und einer einzigen Frau, datiert genauer aus den Tagen Dalamatias, liegt etwa eine halbe Jahrmillion zurück, denn die monogamen Praktiken Andons und seiner unmittelbaren Nachkommen waren schon lange zuvor aufgegeben worden. Es gab indessen vor den Tagen der Noditen und der späteren Adamiten am Familienleben wenig zu bewundern. Adam und Eva übten auf die ganze Menschheit einen dauernden Einfluss aus; zum ersten Mal in der Geschichte der Welt konnte man beobachten, wie Männer und Frauen im Garten Seite an Seite arbeiteten. Das edenische Ideal einer ganzen Familie von Gärtnern war eine für Urantia neue Idee.

Die frühe Familie umfasste eine miteinander verwandte Arbeitsgruppe, die auch die Sklaven einschloss, und sie lebten alle unter einem Dach. Ehe und Familienleben sind nicht immer identisch gewesen, haben aber zwangsläufig in enger Beziehung gestanden. Die Frau hat es  stets nach der individuellen Familie verlangt, und sie hat schließlich ihr Ziel erreicht.

Die Liebe zum Nachwuchs ist beinahe universell und hat einen ausgesprochenen Überlebenswert. Die Alten opferten immer die Interessen der Mutter dem Wohl des Kindes; noch heute lecken die Eskimomütter ihre Kinder, anstatt sie zu waschen. Aber die primitiven Mütter nährten und umsorgten ihre Kinder nur, solange sie sehr jung waren; gleich den Tieren wandten sie sich von ihnen ab, sobald sie heranwuchsen. Dauernde und ununterbrochene menschliche Verbindungen haben nie allein auf biologischer Zuneigung beruht. Die Tiere lieben ihre Kinder; der Mensch – der zivilisierte Mensch – liebt seine Kindeskinder. Je höher die Zivilisation, desto größer die Freude der Eltern am Vorwärtskommen und am Erfolg der Kinder; und damit erscheint als neue und höhere Verwirklichung der Stolz auf den Namen.

In den Großfamilien der alten Völker herrschte nicht unbedingt Zuneigung. Man wünschte sich viele Kinder, weil

       1. Sie als Arbeiter wertvoll waren.

       2. Sie eine Altersversicherung darstellten.

       3. Man die Töchter verkaufen konnte.

       4. Der Familienstolz die Verbreitung des Namens verlangte.

       5. Söhne Schutz und Verteidigung gewährleisteten.

       6. Geisterfurcht große Angst vor dem Alleinsein erzeugte.

       7. Gewisse Religionen Nachkommen forderten.

Ahnenverehrer betrachten das Ausbleiben von Söhnen als das größte Unglück für alle Zeit und Ewigkeit. Sie wünschen sich über alles Söhne, damit diese bei den Totenzeremonien mitwirken und die erforderlichen Opfer für das Weiterkommen der Abgeschiedenen durch das Land der Geister darbringen können.

Bei den einstigen Wilden wurde sehr früh mit der Disziplinierung der Kinder begonnen; und das Kind erkannte sehr bald, dass Ungehorsam Misserfolg, wenn nicht Tod bedeutete, ganz so wie für die Tiere. Es ist der von der Zivilisation gewährte Schutz des Kindes vor den natürlichen Folgen kopflosen Verhaltens, der so sehr zur modernen Aufsässigkeit beiträgt.

Die Eskimokinder gedeihen einfach deshalb mit so wenig Disziplin und Bestrafung, weil sie von Natur aus gefügige Tierchen sind; die Kinder der roten sowie der gelben Menschen sind fast ebenso fügsam. Aber Kinder von Rassen, die ein anditisches Erbe besitzen, sind nicht so ruhig; diese phantasievolleren und abenteuerlustigeren jungen Menschen brauchen mehr Schulung und Disziplin. Die modernen Probleme der Kindererziehung werden immer schwieriger wegen:

       1. des hohen Grades an Rassenvermischung.

       2. der Künstlichkeit und Oberflächlichkeit der Erziehung.

       3. der Unfähigkeit des Kindes, sich durch Nachahmung der Eltern Kultur anzueignen, da die Eltern die meiste Zeit von der Familienszene abwesend sind.

Die alten Vorstellungen von Familiendisziplin waren biologisch, sie kamen aus dem Bewusstsein, dass die Eltern die Urheber des Daseins des Kindes sind. Die fortschreitenden Ideale des Familienlebens führen zu der Vorstellung, dass ein Kind zur Welt zu bringen nicht irgendwelche elterlichen Rechte verleiht, sondern der menschlichen Existenz die allerhöchste Verantwortung auferlegt.

Die Zivilisation befindet, dass die Eltern alle Pflichten auf sich nehmen müssen und die Kinder alle Rechte haben. Der Respekt des Kindes vor seinen Eltern entsteht nicht aus dem Wissen darum, was man seinen Eltern und Erzeugern schuldet, sondern wächst natürlich als Antwort auf die dem Kind in Liebe gewährte Sorge, Schulung und Zuneigung, während man ihm hilft, den Lebenskampf zu bestehen. Wahre Eltern befinden sich in einem ständigen Dieneramt, das von weisen Kindern mit der Zeit erkannt und gewürdigt wird.

In der gegenwärtigen industriellen und städtischen Ära entwickelt sich die Institution der Ehe nach neuen wirtschaftlichen Richtlinien. Das Familienleben ist immer kostspieliger geworden, während die Kinder, die immer einen Gewinn bedeutet hatten, zu einem wirtschaftlichen Passivposten geworden sind. Aber die Sicherheit der Zivilisation selber ruht immer noch auf der zunehmenden Bereitschaft einer Generation, in das Wohl der nächsten und zukünftiger Generationen zu investieren. Und jeder Versuch, die elterliche Verantwortung auf den Staat oder die Kirche abzuwälzen, wird sich auf das Wohl und den Fortschritt der Zivilisation zerstörerisch auswirken.

Die Ehe, mit Kindern und sich daraus ergebendem Familienleben, stimuliert die höchsten Potentiale der menschlichen Natur und liefert zugleich den idealen Rahmen für den Ausdruck der so stimulierten Attribute der sterblichen Persönlichkeit. Die Familie sorgt für die biologische Fortpflanzung der menschlichen Gattung. Das Heim ist der natürliche soziale Ort der Begegnung, wo die heranwachsenden Kinder die Ethik der Bruderschaft unter Blutsverwandten erfassen können. Die Familie ist die fundamentale Einheit der Brüderlichkeit, in der Eltern wie Kinder jene Lektionen in Geduld, Selbstlosigkeit, Toleranz und Nachsicht lernen, die zur Verwirklichung der Brüderlichkeit unter allen Menschen so unentbehrlich sind.

Die menschliche Gesellschaft würde sich gewaltig verbessern, wenn die zivilisierten Rassen ganz allgemein vermehrt zur Praxis des Familienrates der Anditen zurückkehrten. Jene behielten nicht die patriarchalische oder autokratische Form des Familienregiments bei. Sie waren sehr brüderlich und gesellig, und sie diskutierten in aller Freiheit und Offenheit jeden Vorschlag zur Regelung von Familienangelegenheiten. Sie waren in ihrer Familienführung auf ideale Weise brüderlich. In einer idealen Familie verstärkt sich die Liebe sowohl der Kinder als auch der Eltern unter der Wirkung brüderlicher Hingabe.

Das Familienleben ist der Erzeuger wahrer Sittlichkeit, der Urheber des Bewusstseins von treuer Pflichterfüllung. Die vom Familienleben aufgezwungenen Personenverbindungen stabilisieren die Persönlichkeit und stimulieren ihr Wachstum durch den Druck notwendiger Anpassung an andere und verschiedenartige Persönlichkeiten. Aber das ist nicht alles: Eine wahre Familie – eine gute Familie – offenbart den elterlichen Erzeugern die Haltung des Schöpfers gegenüber seinen Kindern, während gleichzeitig solche wahren Eltern ihren Kindern die erste in einer langen Reihe von immer höheren Offenbarungen der Liebe des Paradies-Vaters aller Universumskinder geben.

8. DIE GEFAHREN DER SELBST-BEGLÜCKUNG

Die große Bedrohung des Familienlebens kommt von der beängstigend anschwellenden Flut der Selbst-Beglückung, der modernen Vergnügungssucht. Der erste Anstoß zur Ehe war wirtschaftlicher Art; die sexuelle Anziehung kam erst an zweiter Stelle. Die Ehe, gegründet auf Selbst-Erhaltung, führte zur Selbst-Fortpflanzung und verschaffte zugleich eine der wünschenswertesten Formen von Selbst-Beglückung. Sie ist die einzige Institution der menschlichen Gesellschaft, die alle drei dieser großen Lebensmotivationen in sich vereinigt.

Ursprünglich war der Besitz die grundlegende Institution der Selbst-Erhaltung, während die Ehe als einzige Institution der Selbst-Fortpflanzung funktionierte. Obwohl Gaumenfreuden, Spiel und Humor und die periodische sexuelle Befriedigung Mittel der Selbst-Beglückung waren, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass die sich entwickelnden Sitten es unterlassen haben, eine eigene Institution zur Selbst-Beglückung zu schaffen. Und es ist diesem Versagen bei der Entwicklung spezialisierter Techniken zu vergnüglichem Genießen zuzuschreiben, dass alle menschlichen Institutionen so vollständig von dieser Vergnügungssucht durchsetzt sind. Die Ansammlung von Gütern wird ein Instrument zur Vermehrung aller Arten von Selbst-Beglückung, und die Ehe wird oft bloß als ein Mittel zum Vergnügen betrachtet. Und diese Genusssucht, diese weit verbreitete Vergnügungswut stellt jetzt die größte Bedrohung dar, die sich je gegen die evolutionäre gesellschaftliche Institution des Familienlebens, das Heim, gerichtet hat.

Die violette Rasse bereicherte die Erfahrung der Menschheit um ein neues, noch unvollkommen verwirklichtes Merkmal – den Spieltrieb zusammen mit dem Sinn für Humor. Beide waren bei den Sangikvölkern und Andoniten bis zu einem gewissen Grad bereits vorhanden, aber die adamische Blutzufuhr hob diese primitive Neigung zum Potential des Vergnügens empor, einer neuen und schöneren Form der Selbst-Beglückung. Der Grundtypus von Selbst-Beglückung neben der Stillung von Hunger ist die sexuelle Beglückung, und diese Form sinnlichen Vergnügens wurde durch die Vermischung der Sangikrassen mit den Anditen gewaltig gesteigert.

Es liegt eine wirkliche Gefahr in der Kombination von Rastlosigkeit, Neugier, Abenteuerlust und Hingabe an das Vergnügen, die für die nachanditischen Rassen so charakteristisch ist. Der Hunger der Seele kann nicht durch physische Freuden gestillt werden; die Liebe zu Heim und Kindern wird durch eine unbesonnene Jagd nach dem Vergnügen nicht gesteigert. Solltet ihr auch alle Ressourcen von Kunst, Farbe, Klang, Rhythmus, Musik und persönlichem Schmuck erschöpfen, so könnt ihr dennoch nicht hoffen, dadurch eure Seele zu erheben oder euren Geist zu ernähren. Eitelkeit und Mode können nichts zum Aufbau eines Heims und zur Kindererziehung beitragen; Stolz und Rivalisieren sind machtlos, die Überlebensqualitäten der aufeinander folgenden Generationen zu steigern.

Alle vorwärts strebenden himmlischen Wesen genießen gewisse Zeiten der Erholung und erfreuen sich des Wirkens der Leiter der Rückschau. Alle Bestrebungen, sich heilsame Abwechslung zu verschaffen und erbauendem Spiel hinzugeben, sind gesund; erfrischender Schlaf, Ruhe, Erholung und jeder Zeitvertreib, der vor langweiliger Monotonie schützt, sind lohnend. Wettspiele, Geschichtenerzählen und sogar gut schmeckendes Essen können als Formen der Selbst-Beglückung dienen. (Wenn ihr zum Würzen der Speisen Salz verwendet, dann sinnt einen Augenblick darüber nach, dass der Mensch während beinahe einer Million Jahren Salz nur erhalten konnte, indem er seine Nahrung in Asche tauchte.)

Der Mensch freue sich; die menschliche Rasse finde ihr Vergnügen auf tausenderlei Art; die evolutionäre Menschheit erforsche alle Formen legitimer Selbst-Beglückung, Früchte ihres langen biologischen Emporkämpfens. Der Mensch hat einige seiner heutigen Freuden und Vergnügen wohl verdient. Aber verliert das Ziel eurer Bestimmung nicht aus den Augen! Die Vergnügungen sind in der Tat selbstmörderisch, wenn es ihnen gelingen sollte, das Eigentum, das zur Institution der Selbst-Erhaltung geworden ist, zu zerstören; und man hat für die Selbst-Beglückungen einen tödlichen Preis bezahlt, wenn sie den Zusammenbruch der Ehe, den Niedergang des Familienlebens und die Zerstörung des Heims bewirken sollten – der höchsten evolutionären Leistung des Menschen und einzigen Hoffnung für das Überleben der Zivilisation.

[Dargeboten von dem Chef der auf Urantia stationierten Seraphim.]


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